Warum Assistenz nicht bedeutet, alles zu tragen
Loyalität ist ein großes Wort. Besonders in der Assistenz. Sie wird erwartet, vorausgesetzt, oft nie ausgesprochen – und trotzdem ist sie allgegenwärtig. Sie zeigt sich in frühen Mails, späten Anrufen, still übernommenen Aufgaben. In all den Momenten, in denen die Assistenz da ist, bevor sie gefragt wird.
Doch wo liegt die Grenze? Und was passiert, wenn Loyalität kippt – wenn sie nicht mehr Haltung zeigt, sondern Selbstaufgabe?
Diese Frage begleitet mich schon lange. Und sie kam mit voller Wucht zurück, als ich vor kurzem krank im Bett lag – körperlich außer Gefecht, aber innerlich hellwach. Ich hatte eine Wundinfektion, die mich zur Ruhe zwang. Und wie so oft, wenn der Körper nicht mehr mitmacht, beginnt der Kopf zu arbeiten.
Ich erinnerte mich an einen Morgen, der alles veränderte. Damals, als ich noch in der Chefassistenz war. Ein Morgen, an dem ich meinem langjährigen Vorgesetzten nicht wie gewohnt zwei Kaffee brachte – sondern sein Büro räumen musste. Laptop abnehmen. Schlüssel. Handy. Zutrittskarten. Nicht aus Bosheit. Nicht aus Illoyalität. Sondern weil niemand sonst es tat.
Ich funktionierte. Und gleichzeitig brach in mir etwas weg.
Wer hilft der Helferin?
Es hat Jahre gebraucht, um zu verstehen, was da wirklich passiert ist. Ich habe viele solcher Situationen erlebt – und in den letzten Wochen viele Geschichten gehört, die dem ähneln.
Eine Assistenz schrieb mir:
„Ich wurde einfach freigestellt, weil die neue Chefin nicht mit mir arbeiten wollte. Ohne Übergabe. Ohne Gespräch.“
Eine andere:
„Ich habe jahrelang geglaubt, ich bleibe bis zur Rente – und dann war plötzlich klar: Ich passe nicht mehr ins System.“
Und fast jede zweite Nachricht enthielt diesen einen Satz:
„Ich habe zu lange geschwiegen.“
Genau da beginnt das Problem. Wer dauerhaft funktioniert, fällt nicht auf – bis er zusammenbricht.
Und das ist kein individuelles Versagen. Das ist strukturelle Unsichtbarkeit.

Loyalität ist kein Selbstzweck
Ich habe in dieser Zeit viel gelernt. Auch über mich. Und über das System, in dem viele Assistenzen arbeiten.
Es geht nicht darum, unloyal zu sein. Im Gegenteil. Ich glaube an Loyalität. Ich bin ein zutiefst loyaler Mensch. Aber ich glaube nicht mehr daran, dass sie grenzenlos sein darf.
Loyalität bedeutet nicht, die Verantwortung für andere zu übernehmen, die sich entziehen.
Loyalität bedeutet nicht, still zu schlucken, was laut benannt werden müsste.
Und Loyalität bedeutet ganz sicher nicht, sich selbst zu vergessen.
Eine Leserin brachte es auf den Punkt:
„Ich finde es klasse, wie du die Rolle der Assistenz abgrenzt. Es ist nämlich nicht die Aufgabe, alles zu übernehmen, worauf der Chef keine Lust hat.“
Ich hätte diesen Satz damals gebraucht. Vielleicht auch die Erlaubnis, nicht einfach zu funktionieren.

Loyalität braucht Haltung – und Verbündete
Wenn ich heute mit Assistenzen arbeite, frage ich oft:
➸ Wo endet Deine Rolle?
➸ Wo beginnt die Grenze, die Du schützen musst – nicht nur aus Selbstschutz, sondern aus Professionalität?
Denn eines habe ich gelernt:
Wenn wir unsere Rolle nicht selbst definieren, tut es jemand anderes.
Und oft tut es dann jemand, der nicht sieht, was wir tragen. Oder schlimmer: der es sieht – und ausnutzt.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns vernetzen. Dass wir sprechen, schreiben, widersprechen. Dass wir einander den Rücken stärken. Ich glaube fest daran: Die Assistenz der Zukunft ist keine leise Mitläuferin. Sie ist eine Mitgestalterin.
Und das beginnt mit einer Haltung, die sagt:
Ich bin loyal. Aber ich bin auch klar.
Machtverhältnisse und psychische Belastung: Was unausgesprochen bleibt
In vielen Unternehmen herrscht ein unausgesprochenes Machtgefüge, in dem Assistenzen nicht nur als organisatorische Stütze, sondern auch als emotionale Puffer fungieren. Sie fangen Spannungen ab, filtern Informationen, dämpfen Konflikte – und stehen oft selbst zwischen den Stühlen.
Das hat Auswirkungen. Nicht selten entsteht ein permanentes inneres Alarmlevel: immer wach, immer bereit, immer freundlich. Auf Dauer ist das nicht gesund.
Psychische Belastung durch emotionale Überverantwortung ist real. Doch sie wird kaum thematisiert. Warum? Weil Assistenzen gelernt haben, „mitzutragen“. Weil sie nicht auffallen wollen. Weil Loyalität ihnen oft wichtiger erscheint als Selbstführung.
Dabei bräuchte es genau hier ein Umdenken:
Wer professionell begleitet, muss selbst gut begleitet sein.
Wer loyal ist, braucht Strukturen, die das anerkennen.
Impulse für Führungskräfte: Loyalität fördern heißt Verantwortung übernehmen
Wenn Du Führungskraft bist und mit einer Assistenz arbeitest, lade ich Dich ein, einmal ganz bewusst hinzuschauen:
Wann hast Du zuletzt gefragt: „Was brauchst Du?“
Welche Aufgaben delegierst Du – weil sie wirklich zur Assistenzrolle gehören, und welche, weil sie sonst niemand machen will?
Wo kannst Du Loyalität anerkennen, statt sie still vorauszusetzen?
Loyalität entsteht nicht durch Druck, sondern durch Vertrauen. Sie wächst, wenn Führung auf Augenhöhe passiert, wenn Wertschätzung konkret wird, wenn Aufgaben klar umrissen sind und Grenzen respektiert werden.
Wer möchte, dass eine Assistenz loyal bleibt, muss mit gutem Beispiel vorangehen. Dazu gehören:
transparente Kommunikation,
schriftlich festgehaltene Absprachen,
regelmäßige Feedbackgespräche auf Augenhöhe,
und die Bereitschaft, Verantwortung auch selbst zu tragen.
Denn echte Loyalität entsteht dort, wo Menschen sich gesehen, gehört und geschützt fühlen.
Was bleibt – und was sich ändern muss
Ich habe damals meinen Weg gewählt: Raus aus der Festanstellung, rein in die Selbstständigkeit. Nicht, weil ich es unbedingt wollte. Sondern weil mir klar wurde: Wenn ich meine Werte leben will, dann muss ich mir den Rahmen dafür selbst schaffen.
Heute begleite ich Assistenzen, die mehr wollen. Die nicht mehr die schweigende Instanz im Hintergrund sein wollen. Die gelernt haben, dass Loyalität nur dann stark ist, wenn sie auf Gegenseitigkeit beruht.
Und weißt Du was?
Ich bin zutiefst dankbar für jede einzelne Nachricht, die mich erreicht hat. Sie hat mir gezeigt:
Wir sind viele. Und wir sind nicht allein.
Impuls zum Schluss: Drei Fragen an Dich
Wenn Du selbst Assistenz bist – oder nah an Entscheidungen arbeitest:
Welche Aufgaben übernimmst Du, die eigentlich nicht Deine sind – und warum?
Was würdest Du sagen, wenn Du keine Angst hättest, jemandem auf die Füße zu treten?
Welche Grenze hast Du schon einmal überschritten – nur, um loyal zu wirken?
Diese Fragen sind nicht bequem. Aber sie sind wichtig.
Denn Veränderung beginnt da, wo wir ehrlich zu uns selbst sind.
Deine
Sabine Kupfer
Die KonfliktPiratin
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